Sind Sporthunde körperlich vermehrt belastet?

physiovet_img_2296In unserem gesellschaftlichen Umfeld werden die Benefits von körperlicher Ertüchtigung sehr hoch gehalten – gelten diese Denkansätze auch für den Hundesport?

Hundesportbefürworter betonen die körperliche Leistungsbereitschaft ihrer Hunde. Sie meinen, dass nur ein körperlich ausgelasteter Hund, der seine Grundbedürfnisse als Angehöriger einer Räuber-, Jäger-und Hetzerfamilie ausleben darf auch ein psychisch ausgelasteter Hund sein kann. Gegner des Hundesportes verurteilen ihrerseits körperliche Ausbeutung und sprechen von muskuloskelettalen Folgeschäden.

Aus meiner beruflichen Qualifikation als Fachtierärztin für Physiotherapie und Rehabilitationsmedizin und der vermehrten Arbeit im Umfeld der Hunde – Sportmedizin ist es mir ein Anliegen die Auswirkungen von Hundesport auf den Bewegungsapparat von Hunden zu untersuchen.

Ziel dieser Arbeit soll es sein, unter Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Literatur und einer Umfrage im Sport- und Familienhundebereich herauszufinden, ob fundierte Beweise dafür existieren, dass Sporthunde im Vergleich zum Familienhund körperliche Spätschäden aufweisen.

Daher lautet die Fragestellung meiner Arbeit: Sind Sporthunde körperlich vermehrt belastet?

Fitness

Nach Charles Darwin, der 1859 den Begriff vom Überleben des Fittesten geprägt hat, können biologisch fitte Individuen am besten überleben – das sind nicht die Lebewesen, die am schnellsten laufen können oder am weitesten springen – sondern die, die sich am effektivsten gegen Umwelteinflüsse behaupten können und sich, ohne Schaden zu nehmen, anpassen. Diese Individuen werden länger leben und dadurch mehr Nachkommen zeugen können – denen sie ihre biologische Fitness genetisch mitgeben.

Laut Wikipedia (2012) steht der Begriff Fitness heute für geistiges und körperliches Wohlbefinden. Damit werden die Leistungsfähigkeit im täglichen Umfeld und die Belastbarkeit gegenüber Umwelteinflüssen definiert.

Fitness ist heute ein Begriff für die optimale muskuloskelettale Funktion, für die Bereitstellung und den Transport von Sauerstoff und für psychologisches Wohlbefinden und die Motivation Leistung zu bringen. In unserer heutigen Gesellschaft gelten sportliche Betätigung – besonders im aeroben Bereich – und gesunde Ernährung als die gängigsten Maßnahmen um Fitness zu erlangen. Ein Einheitsmaß für Fitness gibt es nicht, ebenso wie DEN standardisierten Fitnesstest für Hunde.

 

Der ganz einfach PAT Test aus der Pferdewelt – wie schnell kehren Puls, Atmung und Körpertemperatur wieder auf Ausgangswerte zurück – lässt sich leider nur unzureichend auf den körperlich belasteten Hund ummünzen.

Extreme Herzfrequenzanstiege direkt während der Leistung wie beim Border Collie während des Agility Parcours, überraschend schnelles Absinken eben dieser Herzfrequenz während ganz kurzer Ruhephasen auf dem Tisch, ein extremer Anstieg der inneren Körpertemperatur während des Rennens beim Greyhound aber auch beim Schlittenhund mit langer Erholungszeit (Mai, 2010) – das sind physiologische Fakten, die uns den Begriff Fitness des Hundes nur schwer erfassen lassen.

 

Ich gehe in meiner Fitness Definition gerne auf Darwin zurück und definiere Fitness als einen Zustand geistiger und körperlicher Leistungsfähigkeit, die über Jahre hinweg – bis ins Alter – eine Adaptation an verschieden Umweltsituationen möglich macht.

 

Grundvoraussetzung für diese Anpassungsfähigkeit ist aber das reibungslose Funktionieren der Strukturen, die an einem ungestörten Bewegungsablauf beteiligt sind, wie das Nervensystem, Muskulatur, Sehnen, Bänder, Knochen, Knorpel und die daraus gebildeten Gelenke (v.d. Berg, 2004). Alle diese Strukturen profitieren von Bewegung und Training und damit natürlich auch von Hundesport.

 

Immobilisation

Wenn Bewegungsstrukturen nicht genutzt werden, dann antworten sie in unterschiedlicher Weise auf diese Unterbelastung (Millis et al., 2004). Die meisten dieser Veränderungen sind mit vorsichtigem Training wieder rückgängig zu machen – aber wie wir alle aus eigener Erfahrung wissen, dauert der Aufbau eines bestimmten Leistungslevels viel länger als der Abbau.

Am deutlichsten reagiert die Muskulatur auf Unterforderung: die Muskelfasern werden dünner, sie verkürzen sich durch die Ausbildung von Crosslinks (v.d. Berg, 2004), sie atrophieren.

Aber es gibt nicht nur augenscheinliche Veränderungen, auch die Körperwahrnehmung leidet unter der Immobilisation. Bewegungsmelder, die nicht gereizt werden, stellen ihre Funktion ein, koordinative Bewegungsmuster werden „vergessen“, Bewegungen werden im Bewegunsausmaß kleiner und langsamer, die Reaktion auf Unvorhergesehenes wird unsicher – die Verletzungsanfälligkeit steigt.

Eben diese Verletzungsanfälligkeit steigt aber auch durch die mangelnde Stabilisierung der gelenksnahen Muskeln, durch lockere Sehnen und nicht gekräftigte Bänder und Gelenkskapseln. Dies alles sind Folgen der abnehmenden Zug- und Druckkräfte auf die kollagenen Fasern, die nach dem Belastungstyp einerseits und nach der Belastungsrichtung andererseits ausgerichtet und verstärkt werden.

Der Gelenkknorpel, der ja aus der ständigen Be- und Entlastung seine Nahrung bezieht, wird dünner und damit anfälliger für irreversiblen Abrieb, Knochen werden dünner und osteoporotisch – dadurch kommt es vermehrt zu Verletzungen.

 

Selbstverständlich reagiert nicht nur der Bewegungsapparat auf körperliche Untätigkeit, auch das Herz–Kreislauf–System, das Hormonsystem, das Immunsystem und alle anderen Funktionssysteme des Organismus sind von Belastung oder eben Immobilisation betroffen. (Leschnik et al., 2007)

Verletzungen

Auch im Hundesport kommt es zu Verletzungen – sei es aus Unachtsamkeit des Hundes oder aus ungenügender Vorbereitung im Training. Der Vorwurf Hunde im Sport zu verheizen, wird mit jeder Sportverletzung neu erhoben. Im Leistungssport gibt es wenige Zahlen, die die Verletzungen statistisch erheben.

Im Agility Sport wurden 1600 Fragebögen nach der Verletzungshäufigkeit von Hunden im Agilitysport bearbeitet. Martin Levy et al. (2009) fanden heraus, dass immerhin 33% der teilnehmenden Hunde verletzt worden waren. Mehr als die Hälfte davon während des Bewerbes – die meisten im Kontakt mit den Geräten – und hier besonders viele an der A- Wand und dem Laufsteg. Diese Studie führte in den USA zu einer massiven Anstrengung den Sport für die Hunde sicherer zu machen – Geräte wurden entschärft und umgebaut, Trainingsmethoden gerade auf die Kontaktzonen hin verändert.

Im Schutzhundesport wurden nach Verletzungen an der Palisade und dem Weitsprung die beiden Hindernisse aus der Prüfungsordnung genommen. Techniktraining am Sprung gehört heute zu den wichtigsten Punkten im Training. Die Ausbildung der Schutzhelfer wurde nach den Vorfällen der FMBB (Federation Mondial du Berger Belge)Weltmeisterschaft 2007 in Frankreich massiv geändert um die Verletzungsgefahr der Hunde während der langen Flucht zu minimieren.

 

 

 

Überbelastung

Das System des Bewegungsapparates ist vor Überbelastung durch Ermüdung und durch Belastungsschmerz geschützt. Schäden durch Überlastung sind auch beim gesund gebauten Hund natürlich möglich – meist handelt es sich um Spätschäden, die sich schlecht mit der ursächlichen Überbelastung in Zusammenhang bringen lassen.

Zu den Spätschäden sind in erster Linie schmerzhafte oder mechanische Bewegungseinschränkungen der Hunde zu zählen. Degenerative Erkrankungen der Bewegungsstrukturen sind unheilbar, manche davon werden durch Gelenksfehlstellungen begründet – andere durch Überlastungen – das Resultat kann in beiden Fällen eine Arthrose sein (Mai, 2010).

 

Anna Hielm- Björkmann et al. (2009) entwickelten einen Fragebogen für Hundebesitzer, deren Hunde an Arthrosen litten. Ziel dieser Befragung war es, den Tierbesitzern und den behandelnden Tierärzten einen möglichst objektiven Wert der Schmerzempfindung des chronisch kranken Hundes zu vermitteln. Aus verschiedenen Verhaltensmustern und einer eventuellen Veränderung dieses Verhaltens wurde ein Schmerzwert ermittelt, der sich im Laufe der Therapie verändern musste, wenn die Therapie erfolgreich war.

 

Aus den Bewegungslabors der Forschungsstätten werden seit mehr als 20 Jahren viele verschieden Daten gemeldet – vertikale Bodenreaktionskräfte, Schrittdauer, Schrittlänge, maximale Beugungs-und Streckungswinkel und vieles mehr. All diese Zahlen werden digitalisiert und in Bewegungsmodellen sehr eindrucksvoll dargestellt. In beeindruckenden Computeranimationsmodellen können wir Hunde von vorne und von hinten, von oben und von der Seite beim Stufensteigen in jeder Phase der Bewegung studieren. Mehrere Kameras nehmen tausende Bilder pro Sekunde auf um immer natürlichere Animationen und genauere Daten erheben zu können: wir sehen Hunde aller Rassen und Gebäudetypen in Superzeitlupe am Laufband gehen, traben und galoppieren (Schamhardt, et al., 1993; Clayton, 1996; De Camp, 1997; Pfau et al., 2010; Fischer & Lilje, 2011).

Die Verarbeitung dieser Daten bringt uns ein völlig neues Verständnis für die Bewegungsabläufe, deren sich Hunde bedienen. Wir wissen aus diesen Daten zum Beispiel, dass Agilityhunde beim Landen über einen Sprung das 4,5 fache ihres Körpergewichtes auf ihre Vorderbeine bringen (Angle et al., 2012). Wir wissen auch, dass schon ganz geringe Veränderungen der Gelenkswinkelung veränderte Gangbilder nach sich ziehen (Bockstahler et al., 2007).

Die beeindruckenden Arbeiten und ihre Ergebnisse werden in dem Buch von Martin Fischer und Karin Lilje: Hunde in Bewegung (2011) und der beiliegenden DVD wunderschön gezeigt und sind durch die Förderung des VDH (Verband für das deutsche Hundewesen) jedem Hundehalter zugänglich.